Deutscher Gewerkschaftsbund

Geschichte des 1. Mai in München

1910: Musterhafte Ordnung

Die alle Jahre wiederkehrenden Probleme mit Entlassung bzw. Aussperrung von Arbeitern, die den 1. Mai mit Arbeitsruhe begangen hatten, standen am 1. Mai 1910 nicht an. Er fiel diesmal auf einen Sonntag, wodurch sich die Teilnehmerzahl beträchtlich steigerte. In München wurde dieser 1. Mai nicht mehr wie in den ersten Jahren der Maifeiern in Holzapfelkreuth begangen, sondern nach Auftaktveranstaltungen in zwölf verschiedenen Münchener Lokalen mit einer Großkundgebung auf der Theresienwiese gefeiert. Die anschließenden Familienfeste waren auf verschiedene Gartenlokale im Umfeld der Stadt, darunter Holzapfelkreuth und Gronsdorf, verteilt.


Zum 20-jährigen Bestehen des 1. Mai veröffentlichten die Münchener Ausschüsse von SPD und Freien Gewerkschaften im Jahre 1910 folgende Resolution:


"Am Tag des 1. Mai bekunden die Versammelten begeistert ihre Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Weltparlaments der organisierten Arbeiterschaft aller Länder. Die Versammelten fühlen sich eins mit den klassenbewussten Proletariern in dem weltbewegenden Kampfe für den Völkerfrieden und für die planmäßige Förderung der neuen Kultur der Arbeit. Sie fordern den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung, einen höchstens 8 Stunden dauernden Normalarbeitstag, eine mindestens 36 Stunden dauernde Ruhepause, Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter 14 Jahren. Die Versammelten fordern die Beseitigung aller Hemmnisse einer freien Entfaltung der politischen und wirtschaftlichen Rechte der Arbeiter, vor allem die Einführung und ungehinderte Durchführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes. Sie begrüßen in diesem Sinne die von dem preußischen Proletariat getragene Wahlrechtsbewegung und versprechen, mit aller Kraft diese tapferen Kämpfer zu unterstützen. Die Versammlung drückt ferner den gegen brutale Unternehmerwillkür hart kämpfenden Bauarbeitern ihre herzlichen Sympathien und ihre volle Solidarität aus. In dem festen Bewusstsein, dass in dem großen Kampfe für die Arbeitersache nur die sozialdemokratische Presse ehrlich an der Seite der Arbeiter kämpft, verpflichten sich die Anwesenden, für die Verbreitung der sozialdemokratischen Zeitungen unermüdlich zu wirken."


Trotz des am 1. Mai 1910 in München relativ schlechten Wetters wurde die Maifeier zu einem erfolgreichen Großereignis für die Münchener Arbeiterschaft. Die sozialdemokratische Münchner Post berichtete am darauffolgenden Tag:


"Maifeier 1910. Die Massendemonstration auf der Theresienwiese. Der Samstag war regnerisch und trübe; erst gegen Abend stahlen sich ein paar Sonnenstrahlen durch das Gewölk und wurden von den vielen Tausenden, denen daran gelegen war, den 1. Mai würdig zu feiern, mit Freude begrüßt. Als der Sonntag anbrach, hatte der Regen aufgehört, aber der Himmel war trüb und versprach keinen guten Tag. Doch ein kühles Lüftchen und ein paar Tropfen Regen haben dem Münchener die Laune noch nie verdorben und das werktätige Volk, das der Träger der Maifeier war, setzt sich nicht zusammen aus Stubenhockern. Darum rührte es sich schon früh in den Straßen und je höher die Sonne hinter dem grauen Schleier stieg, desto dichter wurden die Scharen, die den 12 Lokalen zuströmten, die als Sammelpunkte bestimmt waren. Schutzleute in Uniform und Zivil nahmen in den Straßen Aufstellung, durch die die Maidemonstranten zu ziehen hatten. ("...") Die Züge durch die Stadt verliefen in musterhafter Ordnung; aus den Fenstern wurden die aufmarschierenden Demonstranten da und dort begrüßt, zu beiden Seiten der Straße bildeten sich Reihen von Zuschauern. Vielfach wurden Bekannte durch Zuruf aufgefordert, mitzumarschieren. Viele schlossen sich den Zügen an. Genosse v. Vollmar, der von Schwabing aus mitfuhr, wurde auf der Theresienwiese mit lebhaften Hochrufen begrüßt."


Die Maifeier des Jahres 1910 war auch in München, durch den arbeitsfreien Sonntag natürlich begünstigt, zur bisher bedeutendsten geworden.


Im darauffolgenden Jahr fand die Maikundgebung auf der Theresienhöhe in der Parsevalhalle statt, nachdem die Auftaktveranstaltungen zum 1. Mai wie bisher in verschiedenen Münchener Lokalen abgehalten worden waren. Im Unterschied zum Vorjahr wurde das den 1. Mai abrundende Familienfest wiederum zentral in Holzapfelkreuth begangen. Die politischen Feiern waren sowohl durch die bevorstehe Reichstagswahl geprägt als auch vom Kampf gegen Militarismus und für internationale Abrüstung. Eine besonders große Teilnehmerzahl konnten die Veranstalter bei den Feiern zum 1. Mai 1912 registrieren, nämlich rund 60.000. Die Losungen zum 1. Mai 1912 waren die Forderungen nach dem Achtstundentag und nach der Koalitionsfreiheit. Auch richteten sich die Demonstranten gegen "Kriegshetze und Kriegsrüstung" und erstrebten "Frieden und Freiheit des Volkes". Die Familienfeiern waren diesmal wieder auf vier Lokalitäten verteilt. Die Maifeier des Jahres 1913 überbot alle vorangegangenen seit 1890. Auch die Teilnehmerzahl bei den Familienfesten am Abend des 1. Mai 1913 war so groß, dass sie die mal sogar in fünf verschiedenen Lokalen ausgerichtet wurden. Besonders im Vordergrund stand 1913 die Forderung nach Frieden und Abrüstung, da zu diesem Zeitpunkt der zweite Krieg innerhalb von eineinhalb Jahren auf dem Balkan, dem damaligen europäischen Krisenherd, tobte. Diesen Balkankriegen waren bereits mehrere europäische Krisen, so die beiden Marokkokrisen von 1905 und 1911 zwischen Deutschland und Frankreich, vorausgegangen. Die politische Lage in Europa und auch weltweit war im Jahre 1913 also durchaus angespannt.


Kaum anders war sie ein Jahr später, wenngleich auf dem Balkan zunächst wieder eine trügerische Ruhe eingekehrt war. Der 1. Mai 1914 sollte der letzte sein, der in der "guten alten Zeit" vor dem I. Weltkrieg gefeiert werden konnte. Er gestaltete sich auch in München nochmals als eine machtvolle Manifestation der Arbeiterschaft. Die Münchner Post berichtete wenige Tage später:


"Die Maifeier 1914 in München. Der erste Mai nahm in München einen glänzenden Verlauf. Schon den Morgenstunden begegnete man zahlreiche Arbeitern, die im Knopfloch die rote Nelke trugen und dadurch an die Bedeutung des Tages erinnerten. Um 10 Uhr aber bot sich im Innern der Stadt ein merkwürdiges Bild dar. Mitten durch das werktägliche Verkehrsgetriebe schoben sich endlos lange Züge ernster Gestalten, Männer der Arbeit, nicht selten von ihren Frauen begleitet. Ruhig bewegten sie sich vorwärts, imponierend durch ihre Massen. Die Polizei, die besorgt war, den Verkehr aufrecht zu erhalten, hatte aber keinen Anlass, sich zu betätigen. Denn diese Massen waren organisiert; der gemeinsame Wille, von dem all diese Tausende beseelt waren, kam auch zum Ausdruck in der Ordnung, mit der diese Arbeiterzüge ihren Versammlungen zumarschierten. An den wichtigen Verkehrsknoten wie Bahnhof, Marienplatz, trat trotz dieser Massen keine Verkehrsstörung ein. Da von der Veranstaltung eines geschlossenen Zuges abgesehen worden war, sammelten sich die Genossen und Genossinnen an verschiedenen Treffpunkten und gingen dann in zwanglosen Gruppen so rechtzeitig ab, dass sie etwa um 10 Uhr in den für sie bestimmten Lokalen eintrafen."


"... Die Züge, die sich durch das Stadtinnere bewegten, begegneten sich in der Neuhauserstraße und am Marienplatz; man rief sich gegenseitig zu und brach gelegentlich auch in Hochrufe auf die Sozialdemokratie aus. Die sechs Lokale, in denen vormittags den Zuhörern die Bedeutung des ersten Mai erörtert wurde, waren bald überfüllt. ("...") Nachmittags waren Familienunterhaltungen vorgesehen, deren Besuch zum Teil unter der Ungunst der Witterung zu leiden hatte. Zugunsten der streikenden Schuhmacher fand in Thalkirchen ein Konzert statt, das gut besucht war. Die Patienten von Kirchseeon hatten an die vormittäglichen Versammlungen Begrüßungstelegramme geschickt, deren Bekanntgabe mit lebhaftem Beifall aufgenommen wurde."

Maifeierplakat von 1912

LH München, Stadtarchiv, Plakatesammlung


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